Gerade nach Missbrauchssituationen sehen viele Opfer den Selbstmord als letzten Ausweg. Sie denken, dass sie dadurch allen Schmerzen und allen Erinnerungen entkommen können. Ich denke oft daran, an manchen Tagen mehr an an anderen dafür dann wieder weniger. Wenn man so tief unten ist, sollte man versuchen nicht zu vergessen, dass das Leben trotzdem auch noch vieles lebenswertes zu bieten hat.  Man muss sich immer vorstellen, dass es doch ein Leben nach dem Missbrauch geben könnte. Das Wichtigste ist, zu versuchen, diesen schlimmen Moment zu überleben. Auch ich sehne mich danach, endlich Ruhe und Frieden zu finden, keinen Schmerz mehr zu spüren und diese Welt hinter mir zu lassen. Doch manche Gedanken scheinen einfach so stark zu sein, dass ich immer noch hier bin.

Ich stelle mir immer vor, wie verzweifelt ich meine Familie und meine Freunde hinter mir lassen würde. Auch wenn es keinen Grund dafür gibt, würden sie sicher eine Schuld bei sich suchen, mit der sie dann leben müssten.

Ich möchte auch nicht umsonst soweit gekommen sein; diese Schmerzen und Qualen nicht alle umsonst durchlitten haben. Denn irgendwann kann ich gerade eben durch meine Erfahrungen anderen Menschen helfen.

Als ich in Amerika bei einem Treffen der AA (Anonymen Alkoholiker) war, gab es einen Spruch der ungefähr Folgendes beinhaltete:

"Bring dich jetzt nicht um! Stell dir vor, dass es in deiner Macht liegt und es deine alleinige Entscheidung ist, ob du wenn dann wann du dir das Leben nehmen willst. Also musst du es ja nicht sofort tun, sondern kannst dich auch noch in einer Stunde umbringen, oder am nächsten Tag, der nächsten Woche, dem nächsten Monat, in einem Jahr oder wenn du willst auch in zehn Jahren. Du musst es nicht jetzt tun!"

Ich hoffe, dieser Spruch wird auch anderen Opfern so wie mir helfen können den harten Augenblick zu überleben, und diesem Leben doch noch eine Chance zu geben.

 

 

Ein Ausschnitt aus dem Selbsthilfbuch "Trotz allem" :

 

" Bring dich nicht um

In der Zeit, als meine Erinnerungen hochkamen, hab ich oft an Selbstmord gedacht. Das ging so weit, dass ich mir manchmal sagen musste: "An bestimmte Orte gehst du nicht, da könntest du der Versuchung nicht widerstehen." Ich hatte ein Gefühl, als sei wirklich alles, was in meinem Leben wichtig war und mir Kraft gegeben hatte, zerstört worden. Mir blieb nichts mehr, worauf ich mich hätte freuen können. Erst in den letzten paar Monaten hab ich wieder angefangen, Pläne zu machen. Ich hab also beschlossen, dass ich leben will.

Manchmal fühlst du dich so sterbenselend - der Schmerz ist so groß, dein Selbsthass so stark, die Angst so heftig -, dass du wirklich nicht mehr leben willst. Deine Gefühle sind echt, und es ist wichtig, dass du sie nicht verleugnest, aber es ist auch besonders wichtig, dass du nicht nach ihnen handelst. Es ist in Ordnung, sich so am Boden zerstört zu fühlen wie du jetzt, aber es ist ganz und gar nicht in Ordnung, wenn du dir selbst etwas antust.

Wir haben schon viele zu viele Frauen verloren. Viel zu viele Opfer - Erwachsene und auch Kinder - haben nicht die notwendige Unterstützung bekommen und sich aus Verzweiflung selbst getötet. Wir können es uns nicht leisten, noch mehr zu verlieren. Wir können es uns nicht leisten dich zu verlieren. Du verdienst zu leben.

Lies das Kapitel über den Zorn noch einmal. Man hat dir beigebracht, diesen Zorn nach innen zu richten. Wenn du dich so schlecht fühlst, dass du sterben willst, dann steckt in dir ein Zorn, den du jetzt gegen den oder die Menschen richten musst, die dich als Kind so schlimm verletzt haben. Wenn du Verbindung zu diesem Zorn aufnimmst, löst sich dein Selbsthass von allein auf, und du willst dein Leben bewahren und es nicht mehr zerstören.

Ich hasse das Leben! Ich hasse mich. Ich hasse, was ich mit mir mache. Ich will mich in die dunkle Erde verkriechen und mich verstecken. Ich hasse es, mich erinnern zu müssen! Dass ich immer und immer wieder durch diesen Missbrauch durch muss, um ihn hinter mir zu lassen und das Leben zu finden! Wozu sollte ich wieder leben wollen? Woher weiß ich denn, dass es nicht noch mehr weh tun wird? Wie kann irgend jemand von mir erwarten, dass ich weiter auf etwas so Unbekanntes und Unerreichbares hinarbeite?

Und trotzdem mach ich's. In mir steckt etwas, das muss eine unglaubliche Kraft haben, denn es hat schon drei ernsthafte Selbstmordversuche überlebt und viele Zeiten der Enttäuschung und Verzweiflung. Und immer noch ist es da und treibt mich an, treibt mich zur Arbeit, drängt mich, mich zu erinnern und gegen die Scham anzukämpfen, wütend zu werden, zu weinen, zu fühlen und mich mitzuteilen....mitzuteilen...mitzuteilen! Drängt mich immer weiter hin zu dem Unbekannten, das sie Leben nennen.

Wenn du anfängst, an Selbstmord zu denken, oder den Drang verspürst, dich zu verletzen, hol dir sofort Hilfe. Vereinbare, eine Therapeutin oder eine Freundin anzurufen, wenn du merkst, dass du dein Tun nicht mehr steuern kannst. Ruf ein Krisentelefon oder die Telefonseelsorge an. (Such dir die Nummer raus, bevor du sie brauchst.)

Die Gefühle gehen vorbei, vielleicht denkst du, sie überwältigen dich und werden absolut unerträglich. Aber du kannst lernen, sie auszuhalten. Es ist wie bei einer schwierigen Geburt. Die Gebärende glaubt, keine einzige Presswehe mehr ertragen zu können, aber sie schafft es. Und dann ist es vorbei.

Jedesmal, wenn du es schaffst, den Schmerz deiner Gefühle zu ertragen, ohne dich selbst zu verletzen, jedesmal wenn du es schaffst, auf dich aufzupassen, um Hilfe zu bitten, dir selbst durch die große innere Qual hindurchzuhelfen, hast du ein bisschen mehr von deinem Kampfgeist bewiesen. Du hast dich der Gehirnwäsche deiner Täter widersetzt und den Kampf gewonnen. Du hast nicht zugelassen, dass sie dich zerstören

   

 


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